So tickt die Börse: Zinssorgen und Pessimisten
18.01.22 09:09
Stephan Heibel
Liebe Börsenfreunde,
Die Wochenänderung in den Indizes gibt nicht wieder, wie turbulent
die vergangene Woche war. Und selbst die einzelnen Tage decken
nicht auf, wie turbulent es zwischen unterschiedlichen Branchen
zugeht. Ich zeige auf, was die Anleger derzeit bewegt.
Die Stimmung ist eingebrochen, auch die Zukunftserwartung befindet
sich auf dem Rückzug. Bereits Anfang Januar formulierte ich meine
Sorge über diese Entwicklung, das hat sich nun nur noch verstärkt.
Meine Interpretation der heutigen Sentimentumfrage lesen Sie
weiter unten.
Zinssorgen versus Konjunkturoptimismus
Von den vier großen Themen für das Jahr 2022 befindet sich
derzeit lediglich eines NICHT täglich in den Schlagzeilen: Die
Beziehung zwischen China und den USA.
Der russische Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine führte letzte
Woche zu einem Krisengipfel, auf dem beide Seiten (Gegenspieler
Russlands ist die USA, nicht etwa Europa, auf dessen Territorium
sich das Ganze abspielt) ihre verhärteten Positionen klar gemacht
haben. Besorgniserregend.
Die Omikron-Mutation rauscht durch die Gesellschaft, ob geimpft
oder nicht. Die Stimmungslage der Anleger pendelt im Stundentakt
zwischen der Angst vor der Infektionswelle und der Hoffnung auf
eine Degradierung Coronas auf das Niveau einer schweren Grippe.
An der Zinsfront baut sich langsam Unverständnis hinsichtlich der
Passivität der EZB, namentlich Christine Lagarde auf. Der seit
dieser Woche ehemalige Vorstand der Bundesbank, Jens Weidmann,
warnt die EZB eindringlich vor der Abhängigkeit einiger EU-Staaten
vom billigen Geld der EZB. Sein Nachfolger, Joachim Nagel, ruft
die EZB zu Wachsamkeit vor Inflation auf.
In den USA sorgte Fed-Chef Jay Powell für eine Beruhigung. Er
betonte Anfang letzter Woche, dass die Fed datenbezogen ihre
Entscheidungen stets überdenken werde. "Datenbezogen" ist das
Zauberwort: Bei seinem Amtsantritt vor fünf Jahren hatte er
dogmatisch eine Reihe von Zinsanhebungen ausgerufen. Damit wollte
er die ultralockere Geldpolitik auf ein normales Niveau
zurückholen. Doch seine Ankündigung sorgte für so viel Angst, dass
die Börsen einbrachen, Investitionen zurückgehalten wurden und die
Konjunktur Schaden nahm. Er konnte die beabsichtigen
Zinsanhebungen daher nicht durchführen.
Dieses Mal geht er behutsamer vor: Natürlich müsse die
ultralockere Geldpolitik auf ein normales Maß zurückgeführt
werden, doch über eine etwaige Zinsanhebung entscheide man stets
erst zu gegebener Zeit auf Basis der dann aktuellen Datenlage über
die Konjunkturentwicklung.
Was uns Laien als selbstverständlich erscheint, ist jedoch in der
ideologiegetriebenen Geldpolitik alles andere als normal. Die
Notenbank befindet sich stets im Kreuz verschiedenster Interessen
und neigt häufig dazu, die Gemüter mit dogmatischen Aussagen
beruhigen zu wollen: "forward guidance" wurde das in den
vergangenen Jahren genannt. Damit ist in den USA nun Schluss, und
die Finanzmärkte begrüßen dies zum derzeitigen Zeitpunkt.
Am Montag war die Rendite der 10 Jahre laufenden US-Anleihen über
1,8% gesprungen, das höchste Niveau seit der Corona-Pandemie. Wenn
alles glatt läuft, könnte sich diese Rendite im weiteren
Jahresverlauf über 2% bewegen, das wäre kein Problem für die
Konjunktur. Doch es geht um die Geschwindigkeit: Unternehmen
benötigen Zeit, sich auf ein höheres Zinsniveau vorzubereiten. Und
seit Nikolaus war die US-Rendite von 1,35% auf 1,8% angesprungen:
Viel zu schnell!
Abbildung 1: Rendite der 10 Jahre laufenden US-Staatsanleihe /
Quelle: Comdirect.de
Entsprechend brachen die Aktienmärkte letzten Montag ein, der DAX
gab zwischenzeitlich 1,3% ab. Es folgten jedoch die besonnenen
Worte von Jay Powell, die für einen Rückgang der US-Rendite auf
1,71% sorgten. So konnten sich die Aktienmärkte am Dienstag dann
deutlich erholen.
Am letzten Donnerstag folgte dann etwas Erstaunliches: Die
Mega-Cap-Unternehmen gerieten unter die Räder. Mega-Cap sind
Unternehmen mit einer Mega-Marktkapitalisierung. Also Apple,
Microsoft, Alphabet und Amazon, die jeweils über 1 Billionen
US-Dollar wert sind. Schauen Sie sich mal das folgende Bild an:
Jedes Kästchen zeigt die relative Größe des jeweiligen
Unternehmens an. Je größer das Kästchen, desto größer die
Marktkapitalisierung.
Abbildung 2: Heatmap des S&P vom 13.1.22 / Quelle: finviz.com
Je größer das Kästchen, desto roter die Farbe. Gerade die großen
Unternehmen wurden gestern ausverkauft. Bei den kleinen
Unternehmen sehen wir viele grüne Kästchen. Es ist, als wäre
Anlegern plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen, dass die
Gewinner der vergangenen zwei Jahre nicht ewig weiterwachsen
können.
Allein Apple ist inzwischen mehr wert (2,5 Bio. Euro) als alle
DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen zusammen (2,4 Bio. Euro). Kann
ein Unternehmen mehr wert sein als die gesamte deutsche
Börsenlandschaft? Die überraschende Antwort lautet: Durchaus, denn
die hohe Bewertung Apples ist durch Wachstum und Gewinn
gerechtfertigt. Dennoch fällt es schwer, solche Zahlen zu
akzeptieren.
Die Details, was sich letzte Woche abgespielt hat, finden Sie im vollständigen Kapitel 02 siehe unten (frei zugänglich).
Anleger-Sentiment: Pessimisten gewinnen die Oberhand
Vor einer Woche schrieb ich, dass mir die rückläufige Erwartungshaltung der Anleger Sorge bereitet. Daran hat sich nichts geändert und im Technologie- und Gesundheitssektor sehen wir die roten Vorzeichen dieser Woche. Auch wenn die Stimmung inzwischen ebenfalls deutlich ins Minus gedreht ist, reicht dies noch nicht für einen Boden, bzw. ein Ende der holprigen Börsenphase aus.
Wenn wir berücksichtigen, dass seit dem Corona-Crash sehr viele neue, unerfahrene Aktionäre über Trade Republic, in den USA über Robinhood, an die Börse gekommen sind, können wir uns darauf einstellen, dass diese jungen Anleger das zweite Szenario, das ebenfalls nicht selten ist, noch nie erlebten. Die Frage ist daher nicht ob, sondern wann wir mal wieder einen Ausverkauf erleben, der in Panik mündet.
Am Ölmarkt ist eine divergierende Entwicklung zu beobachten: Der
Ölpreis ist über 80 USD/Fass gesprungen, die Stimmung notiert im
Bereich der Euphorie. Anleger freuen sich über das hohe Niveau am
Ölmarkt. Doch die Zukunftserwartung ist gesunken, der Wert notiert
nahe der Nulllinie. Weitere Kursgewinne für das Öl werden also
nicht erwartet. Damit ist nun zu befürchten, dass die Ölrallye
kurzfristig keinen weiteren Zündstoff erhält und ausläuft.
Beim Bitcoin steigt die Zukunftserwartung hingegen stark an, die
Stimmung war nun viele Wochen in Folge am Boden. Ich werte dies
als Zeichen dafür, dass das aktuelle Kursniveau im Bitcoin,
aktuell knapp über 42.000 USD, vielen Anlegern bereits günstig
genug für Käufe erscheint.
Die Details zu unserer Sentimentauswertung und meiner
Interpretation finden Sie in Kapitel 03 unserer aktuellen
Heibel-Ticker Ausgabe (ebenfalls frei zugänglich).
Weiter zur aktuellen Ausgabe 22/2 mit Kapitel 02 und 03: https://www.heibel-ticker.de/heibel_tickers/1941
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