So tickt die Börse: Geopolitik unter Spannung
22.03.22 12:21
Stephan Heibel
Hoffnung auf eine baldige Lösung für den Ukraine-Krieg hat letzte Woche bestimmt. Putin spricht von einem wirtschaftlichen Blitzkrieg gegen sein Land, sein Angriffskrieg hat den schnellen Sieg nicht herbeiführen können. An den Aktienmärkten führten diese Entwicklungen zu steigenden Kursen.
Ich gehe näher auf die vier Schwerpunktthemen der vergangenen Monate ein: Russland/Ukraine, China/Taiwan, Corona/Omikron und Inflation/Notenbanken. Die Situation ist sehr ungewiss. Sowohl positive als auch negative Überraschungen sind jederzeit möglich. Vorsicht ist weiterhin ratsam.
Es bleibt bei den vier großen Themen, die seit Monaten das
Börsengeschehen dominieren.
RUSSLAND / UKRAINE
Es gibt Hoffnung! Was zunächst niemand für möglich hielt, wird
durch immer neue Berichte belegt: Der Widerstand in der Ukraine
gegen den übermächtigen Gegner Russland verzeichnet immer wieder
Erfolge, die den russischen Vormarsch verlangsamen oder gar
aufhalten. Die Hoffnung auf Friedensverhandlungen zwischen Putin
und Selenskyj erhielten jedoch heute wieder einen Dämpfer: Bei der
Ausarbeitung von 15 Punkten als Vorbereitung für ein solches
Gespräch gebe es, so Putin, bislang keine Fortschritte.
Ich möchte gerne auf eine schnelle Lösung im Ukraine-Krieg hoffen,
doch die Geschichte der russischen Aggressionen lässt einen
längeren Krieg fürchten. Das Stehvermögen der russischen Armee ist
groß. Vielleicht ist das der Ukraine noch größer. Ich habe den
Eindruck, dass Putin in diesem Fall auf die Hilfe eines Freundes
angewiesen sein könnte:
CHINA / TAIWAN
Dieser Freund könnte Präsident Xi sein. China hat sich noch immer
nicht von Russlands Krieg distanziert, sondern beobachtet mit
großem Interesse, was sich in der Ukraine abspielt. Daraus werden
Rückschlüsse auf mögliche Aktionen bezüglich Taiwan gezogen. Doch
heute wird US-Präsident Biden mit Chinas Präsident Xi telefonieren
und ihn drängen, Russlands Überfall der Ukraine zu verurteilen.
Bislang ist China der lachende Dritte: Als vermeintlich neutraler
Staat nimmt man gerne die Rohstoffe Russlands, die der Westen
aufgrund der Sanktionen ablehnt. Der Rohstoffhunger Chinas ist
groß, der Verzicht des Westens auf Russlands Rohstoffe ist ein
Glücksfall für China. Auch als Absatzland wäre Russland attraktiv
für China, liegt es doch deutlich näher als der Westen. Gerne
würde man sogar Waffen zur Unterstützung nach Russland senden,
doch hier hat der Westen eine rote Linie gezogen: Putin ist der
Aggressor und wer ihn unterstützt, wird dadurch automatisch
ebenfalls zum Feind des Westens.
China ist das Zünglein an der Waage: Schlägt es sich auf die Seite
Russlands, so kann auch China mit heftigen Sanktionen des Westens
rechnen. Schlägt es sich auf die Seite des Westens, verliert China
einen verlässlichen Partner (Russland) zugunsten eines
unzuverlässigen Widersachers (USA).
Dabei könnte China Hilfe aus dem Westen gut gebrauchen. Der
chinesische Corona-Impfstoff hat sich als wenig wirksam erwiesen.
Die No-Covid-Strategie führte in den vergangenen Wochen dazu, dass
eine Reihe von Millionenstädten in Shenzen, der größten
Wirtschaftsmetropole des Landes, in den Lockdown geschickt wurden.
Insbesondere die Hightech Branche (ja, auch Chipindustrie) ist in
dieser Region stark vertreten. Es drohen also erneut globale
Lieferkettenprobleme.
JP Morgan hat Anfang der Woche bereits eine Entscheidung
getroffen: Chinesische Aktien wurden von einer Kauf-Empfehlung auf
Verkaufen abgestuft. Das Kursziel für Alibaba wurde von 180 auf 65
USD gesenkt, für Baidu von 245 auf 90 USD, für JD.com von 100 auf
35 USD. Nur einen Tag später kamen noch regulatorische Tiefschläge
hinzu: Einige chinesische Aktien, die als ADRs in den USA gelistet
seien, würden die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen. Es
drohe das Delisting, also die Streichung der Notiz von den
US-Börsen.
Die entsprechenden chinesischen Aktien kannten kein Halten mehr
und zogen den gesamten chinesischen Aktienmarkt mit in den Keller.
Der Ausverkauf war so heftig, dass sich die chinesische Regierung
gezwungen sah zu reagieren. Am Mittwoch gab man bekannt, die
Verschärfung der Vorschriften für chinesische Tech-Unternehmen
nicht mehr weiter fortzusetzen. Vielmehr werde man chinesische
Tech-Unternehmen ab sofort unterstützen. Präsident Xi persönlich
äußerte sich ebenfalls. Er lenkte ein, künftig bei der Bekämpfung
von Corona-Ausbrüchen auch die Kosten im Blick zu haben.
Am Mittwoch sprangen chinesische Aktien zweistellig an, Alibaba
legte 44% zu. An einem Tag! Mich erreichen nun Fragen, ob
chinesische Aktien günstig genug für ein Investment seien, ob das
ein Zeichen für einen Boden sei.
Für mich zeigen die Vorgänge, dass wir viel zu weit weg von China
sind, um uns eine Meinung über den Kursverlauf der chinesischen
Aktien für die kommenden Wochen zu erlauben: Nicht einmal für die
kommenden Stunden traue ich mir eine Prognose zu, geschweige denn
für Monate. Wer Zocken möchte, viel Glück! Aber aus Sicht eines
Investors, der seinen Spargroschen gewinnbringend anlegen möchte,
ist China derzeit kein Ort für ein Investment. Insbesondere vor
dem Hintergrund der ungewissen Positionierung Chinas im
Ukraine-Krieg würde ich derzeit die Finger von China lassen.
CORONA / OMIKRON
Wir verzeichnen die höchsten Infektionszahlen in Deutschland,
doch es handelt sich um die inzwischen als harmlos betrachtete
Omikron-Variante, die kaum zu schweren Krankheitsverläufen führt.
Zumindest sind die Krankenhäuser trotz der hohen Infektionszahlen
nicht ausgelastet.
Es bleibt die Angst vor einer neuen Variante, die vielleicht
wieder gefährlicher ist als die Omikron-Variante. Doch derzeit
gibt es keine Hinweise auf eine entsprechende Verschlimmerung der
Situation. Im Gegenteil, Coronamaßnahmen werden gelockert und der
auslaufende Winter lässt viele Menschen auf einen (in Sachen
Corona) unbeschwerten Sommer hoffen.
INFLATION / NOTENBANKEN
Der Ukraine-Krieg liefert den Notenbanken nun eine Ausrede, den
Begriff "transitory" (vorübergehend) zu streichen. Der
Inflationsdruck war nicht durch die auslaufenden Corona-Maßnahmen
und die Lieferengpässe vorübergehend, sondern stellt sich mehr und
mehr als "persistent" (nachhaltig) heraus.
So hat die US-Notenbank diese Woche erstmals den US-Leitzins um
einen Schritt angehoben (von 0% bis 0,25% auf 0,25% bis 0,5%). Für
das laufende Jahr gehen Volkswirte derzeit von sieben weiteren
Zinsschritten aus. US-Notenbankchef Jay Powell hält sich alle
Optionen offen, er werde stets nach aktueller Datenlage
entscheiden.
Das ist eine erfrischende Verbesserung gegenüber seinem letzten
Versuch, die Geldpolitik zu normalisieren. Vor vier Jahren
kündigte er eine Serie von Zinsschritten an, was die Finanzmärkte
in Angst und Schrecken versetzte und zu einem Crash führte.
Das Zinsniveau in den USA ist in den vergangenen Tagen
angestiegen. So auch der Ölpreis. Die Bedenken, die an den
Finanzmärkten aufgrund dieser Entwicklung bestehen, werden in den
Chefetagen der Unternehmen nicht geteilt: Wenn die Notenbank das
Zinsniveau anhebt, um die Inflation zu bekämpfen, dann wird das
irgendwann auch den Preisanstieg an den Rohstoffmärkten stoppen.
Und das ist die größte Sorge der Unternehmen: Einkaufspreise für
Rohstoffe, später dann auch die Personalkosten, können nicht immer
an die Kunden durchgereicht werden. Ein Notenbankchef, der mit
höheren Zinsen der Inflation entschieden entgegen tritt, ist gut
für die Wirtschaft.
Am Freitag werde ich in meinem Heibel-Ticker wie gewohnt ein
Update geben.
Investoren Sentiment: Verunsicherung schwindet mit steigenden Kursen
Das Anlegersentiment hat sich beruhigt, die Panik der Vorwochen hat sich vor dem Hintergrund der jüngsten Hoffnung zurück entwickelt. Ich interpretiere, was diese Stimmungslage für die Aktienmarktentwicklung Tage aussagt.
Die Sentimentindikatoren sind noch weit entfernt von einer
Überhitzung. Wir haben in der vergangenen Woche zwar eine
ordentliche Erholungsbewegung gesehen, doch damit ist die Panik
der Vorwochen noch nicht abgebaut. Weiterhin gibt es noch Luft
nach oben.
Doch das Stimmungsbild ist nicht mehr so extrem wie noch vor 10
Tagen. Damit steigt nun auch wieder die Gefahr, dass schlechte
Meldungen von den Anlegern auch wieder negativ aufgenommen werden.
Für eine Fortsetzung der Erholungsbewegung werden zunehmend
positive Meldungen benötigt.
Die Investitionsbereitschaft ist vorhanden, aber die Cashquote ist
nicht mehr so hoch wie noch vor ein oder zwei Wochen.
Wir befinden uns in einem stark Nachrichten getriebenen
Marktumfeld, in dem stets die nächste Meldung den Markt drehen
kann. Es bleibt also weiterhin ratsam, ein wenig Cash in der
Hinterhand zu haben, während sich einige stark zurückgekommenen
Aktien bereits ins Depot holen lassen.
Am Goldmarkt ist weiterhin die Stimmung der Anleger in Partylaune,
während gleichzeitig die Zukunftserwartung am Boden ist. Das ist
kein guter Ausgangspunkt für weitere Kurssteigerungen, im
Gegenteil. Der Goldpreis hat an der 2.000er-Marke gekratzt (2.000
USD/Oz) und könnte seinen Lauf von 1.800 auf 2.000 nun erst einmal
"konsolidieren". Das heißt, ein Rücksetzer in Richtung 1.900 ist
nicht unwahrscheinlich. Im besten Fall läuft der Kurs vorerst
seitwärts. Für einen weiteren Preisanstieg würde ein überraschend
positives Ereignis benötigt.
Für den Ölpreis sieht es ähnlich, wenngleich nicht ganz so
dramatisch aus. Auch am Ölmarkt herrscht Partylaune, während
gleichzeitig der Zukunftsoptimismus am Boden ist. Wir wissen aus
der Vergangenheit: Eine Party, also steigende Kurse, kann länger
andauern, als man das für möglich hält. Ich würde daher nicht auf
fallende Kurse spekulieren. Doch um auf steigende Ölnotierungen zu
setzen, dazu ist es inzwischen zu spät.
Details zu den einzelnen Ergebnissen der aktuellen Analyse sowie kommende Analysen finden Sie auf der Heibel-Ticker Webseite.
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